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3. Februar 2010 - Argentinische Inseln

Heute ist Ruhetag. Wir besuchen noch einmal Winter Island und Wordie House. Nachmittags machen wir mit dem Schlauchboot eine Photosafari um Skua Island herum. Wir fahren durch einen Eisberg hindurch, dessen mittlerer Teil unter Wasser liegt. Wieder diese faszinierenden Türkis-Farbtöne, in denen das Wasser über dem Eisberg schimmert. Auch einer großen Eishöhle an der durch Algenbewuchs gefärbten Gletscherküste nähern wir uns bis in deren Eingang, es ist ein bißchen unheimlich. Auf den Eisschollen und Eisbergen liegen viele Robben, zum großen Teile Krabbenfresserrobben.

Abends erneuter Besuch auf der Station. Heute gibt es vom Doktor der Station höchst persönlich gebrannten Wodka. Angenehme Unterhaltung mit Sascha, einem der Mechaniker, wobei die Wodkavorräte rapide abnehmen. Aber der Doktor versteht sein Fach, am nächsten Morgen gibt es nicht einmal den Anflug von Kopfschmerz. Spät nachts gleiten wir mit dem Schlauchboot über das spiegelglatte Wasser von Stella Creek durch die antarktische Nacht zur Sarah zurück. Ein solches Erlebnis führt in eine unvergeßliche Gefühlswelt.

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4. Februar 2010 - Von Vernadsky nach Port Lockroy

Wir befinden uns hier auf Galindez und Winter Island am südlichsten Punkt unseres Törns: 65° 15‘ S. Ab heute segeln wir wieder nordwärts, der Zivilisation entgegen. Nach dem Frühstück geht es los. Zunächst müssen wir unsere sorgfältige Vertäuung lösen, drei zig Meter lange Festmacher müssen eingeholt und aufgespult werden.

Auf der Fahrt nach Petermann Island treffen wir zwei Buckelwale, ein Muttertier mit Kalb. Regelmäßig tauchen sie in unmittelbarer Nähe der Sarah auf und blasen ihren Spout. Uns geht es wie früher den Walfängern. „There she blows“. Dieser Ruf elektrisierte die Seeleute in den Tagen des klassischen Walfanges. Und dieser Ruf elektrisiert auch uns. Der einzige Unterschied: wir machen nicht mit der Harpune Jagd auf die Wale, sondern schießen mit unseren Kameras. Die Erregung ist aber die gleiche, alles steht atemlos an der Reling und wartet auf das nächste Auftauchen der riesigen Tiere. Meistens hören wir erst das Ausblasen des Spout, bevor wir den Wal nach dem Auftauchen wieder orten. Aber dann wird ohne Erbarmen geschossen, leider ist die photographische Jagdbeute nicht immer völlig zufriedenstellend.

Cape Tuxen lassen wir wieder, diesmal an Steuerbord liegen und nehmen Kurs auf Petermann Island. Wir ankern in der nordwärts gelegenen Nachbarbucht von Port Circumcision. Von dort klettern wir - man kann es wirklich nicht anders bezeichnen - an den Felsen der schneefreien Nordostseite der Insel hoch zum Gipfel, ein schweißtreibendes und mühseliges Unterfangen. Nur Schipper Henk hüpft wie eine Gemse von Stein zu Stein und ist - als letzter gestartet - als erster oben. In diesem Bericht sind schon so viele Superlative gefallen, aber sie lassen sich wirklich nicht vermeiden: auf der Spitze von Petermann Island erwartet uns ein nicht zu beschreibender, überwältigender und einzigartiger Blick über die antarktische Inselwelt; von Cape Tuxen schweift der Blick über die Penola Strait zum Eingang des Lemairekanal, dann über Booth Island und Hovgaard Island; und unter uns Port Circumcision mit der kleinen argentinischen Schutzhütte.

Die uns zu Füßen liegende Inselwelt wurde als solche am 10. Januar 1874 durch die Grönland entdeckt und mit dem bis heute gültigen Namen Kaiser-Wilhelm-Inseln bezeichnet. Bis dahin hatte man nach Biscoes Entdeckerfahrt von 1832 an dieser Stelle schon das Festland vermutet. Neben Booth Island und Petermann Island hat Dallmann weitere Inseln des Archipels benannt, deren Namen aber keinen Bestand hatten: Krogmanninsel (heute Hovgaard Island), Friedburginsel (heute Vedel Island), Elisabethinsel (vermutlich eine der größeren, südlichen Inseln der Dannebrog Islands).

Nach einem genauso schweißtreibenden Abstieg von der höchsten Erhebung von Petermann Island herunter auf Meeresniveau folgt ein kurzer Gang nach Port Circumcision. Dies ist der Naturhafen, in welchem Charcot 1909 mit seinem Schiff Pourqoui-Pas? die zweite Überwinterung in der Antarktis verbrachte. Auch hier drohten immer wieder Eispressungen oder Eisberge das Schiff zu zerdrücken. Eiserne Ketten wurden vor den Naturhafen gespannt, die dem Schiff aber auch keinen vollständigen Schutz bieten konnten. Dazu kamen Mangelerkrankungen (es wird wohl Beri-Beri gewesen sein), die einen Großteil der Mannschaft einschließlich Charcot stark schwächten. An die entbehrungsreiche und harte Zeit der Überwinterung erinnert heute noch eine Kopie der damals von der Expedition selbst in der Nähe von Port Circumcision hinterlassen Bleiplakette mit den Namen der Expeditionsteilnehmer.

Heute wie damals besetzen die Pinguine jeden freien Flecken um Port Circumcision herum. Die kleine argentinische Schutzhütte am Port Circumcision ist selbst durch einen kleinen Zaun vor der Eingangstür nicht vor den Pinguinen und ihren Exkrementen zu schützen.

Wir müssen weiter, haben noch ein volles Tagesprogramm. Der nächste Höhepunkt wartet schon auf uns, die Durchfahrt durch den Lemairekanal. Links und rechts von uns steigen die Fels- und Eiswände von Booth Island auf der einen und dem antarktischen Festland auf der anderen Seite steil empor. Spektakulär! Der enge Kanal, die rot-braun-schwarzen Farbtönungen der Felsenwände, die blau-weißen Gletscherabbrüche, einfach unbeschreiblich. Und dann noch am Ausgang die so charakteristisch geformten Una Peaks, zwei mächtige, mit Schnee und Eis bedeckten Basalttürme. Mich beschleicht der Eindruck, daß ich heute mehr sehe und erlebe, als andere Menschen in ihrem ganzen Leben.

Nun geht es hinaus in die Butler Passage, hinüber zum Cape Errera. Dort soll die Einfahrt zum Peltier Channel sein. Wirklich? Wir sehen in dieser Richtung nur Eiswände, wo soll sich da eine Öffnung für uns finden? Seltsamerweise kommen die so nahe erscheinenden Eiswände mit der Zeit auch nicht näher. So täuscht man sich in der Antarktis, mit ihrem Weiß in alle Richtungen, in Entfernung und Topographie. Aber da sind wir nicht die Ersten, sondern haben berühmte Vorgänger. Charcot schreibt als er auf demselben Kurs mit der Français unterwegs war (in der englischen Übersetzung):

„We knew from the previous year’s voyage that a narrow channel, the Peltier Channel, led to Port Lockroy, between Wiencke Island and Doumer Island, but from out to sea, it was very difficult to pick it out among the confusion of overlapping icebergs und ice cliffs. It was only when we were near its entrance that we identified the channel, which was quite clear of ice.”

Langsam wird es stürmisch, der Wind nimmt auf ca. 7 Windstärken zu, genau von Nord. Es baut sich eine kurze eklige Welle auf, zuviel für einen Teil der Mannschaft. Ich bleibe die ganze Zeit an Deck, auch wenn es nun sehr kalt und naß ist, das muß ich einfach miterleben. Irgendwann setzt Henk einen Teil der Genua, nun liegt das Schiff ruhiger. Schließlich laufen wir in den Peltier-Kanal ein, sofort ist die aus der Gerlachestraße kommende Welle weg. Dafür gibt es hier Williwaws. Zweimal fallen die über die Berge von Wiencke Island kommenden Winde mit aller Gewalt auf den Peltier Channel hernieder. Das Wasser sieht aus, als wenn es staubt, man kann richtig sehen, wie sich der Williwaw dem Schiff nähert. Dabei steigt die Windgeschwindigkeit von unter 15 Knoten auf fast 60 Knoten. Henk nennt es Natur zum Hineinbeißen.

Wir fahren weiter an den hohen Bergketten von Wiencke Island, den Fief Mountains, entlang. Schon wieder scheinen wir uns in einer Sackgasse zu befinden, der Kanal endet offensichtlich an einem großen Gletscher. Erst im letzten Moment zeigt sich der Knick des Fahrwassers nach Backbord. Und dann sind wir nach einem weiteren Schwenk nach Steuerbord auch schon an unserem heutigen Ziel angekommen: Port Lockroy. Wir laufen in die Bucht ein und werfen, bis obenhin voll von Eindrücken, Anker.

Tagesstrecke: 35 sm (Gesamt: 871 sm)

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