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30. Januar 2010 - Palmer Station

Nach dem gestrigen langen, lustigen und nicht ganz trockenen Abend sind am heutigen Morgen nicht alle ohne Schwierigkeiten aus der Koje gekommen. Deshalb geht es erst etwas verspätet mit dem Schlauchboot zur Torgersoninsel los. Wir müssen durch dichte Eisfelder, was ein umsichtiges Manövrieren erfordert; ein Schlauchboot ist kein Eisbrecher! Torgerson Island ist ausschließlich von Pinguinen bewohnt. Hier, wie auch an einigen anderen antarktischen Orten, werden so bahnbrechende Experimente durchgeführt wie die Untersuchung, ob sich die sporadische Anwesenheit von menschlichen Besuchern auf das Wohlbefinden der Pinguine auswirkt. Dazu wurde mit ein paar blauen, mit grünen Fähnchen versehenen Tonnen eine gedachte Linie über die Insel gespannt. Nördlich davon sollen sich die selten erscheinenden menschlichen Besucher aufhalten, südlich davon ist das Gebiet ausschließlich für Pinguine und andere Tiere reserviert. Es erscheint fraglich, ob sich aus so einer Versuchsanordnung tatsächlich relevante Ergebnisse gewinnen lassen, oder ob hier nicht nur Rechtfertigung für den sicher nicht billigen antarktischen Wissenschaftstourismus gesucht wird. Den Pinguinen scheint unsere Anwesenheit jedenfalls vollständig egal zu sein. Sie haben genug damit zu tun, sich untereinander zu streiten, was sie mit Leidenschaft und ohrenbetäubenden Lärm tun. Immer wieder flammt irgendwo ein Herd von Streitereien auf, der ebenso schnell erlischt, um an anderer Stelle erneut zu entstehen. Indessen gibt es auch ruhige Vertreter unter den hier ansässigen Adélie-Pinguinen, die einfach nur ungerührt und unbeweglich stundenlang am gleichen Orte stehen, oder unermüdlich und selbstversunken kleine Steine für das Nest suchen und im Schnabel nach Hause transportieren.

Nachmittags ist der Besuch auf Palmer Station geplant. Die amerikanische Station ist die größte und technisch am perfektesten ausgerüstete Station von allen, die wir auf unserem Törn besuchen. Aber sie wirkt wenig heimelig, sehr technisch und will sich irgendwie nicht richtig in die Natur einfügen. Die Station ist aufgrund ihrer Größe ein ständiger Anziehungspunkt von Kreuzfahrtschiffen. Unsere sehr nette, mit der typischen frischen amerikanischen Art versehene Führerin erzählt von dem minutiös geplanten Abläufen solcher Besuche. Die Station ist komfortabel eingerichtet. Es gibt, wie sollte es auf einer amerikanischen Station anders sein, einen mit reichhaltigem Gerät und großer Flimmerkiste eingerichteten Fitneßraum, es gibt eine Bar und eine Bibliothek (wobei die meisten Bücher tatsächlich DVDs sind). Und es gibt eine hervorragende Küche, von deren Qualität sogar wir Besucher uns überzeugen dürfen. Für alles ist gesorgt. Auf unserem Rundgang kommen wir mit Frau Doktor ins Gespräch, einem verrückten Huhn, wohl jenseits der 50 aber irgendwie immer noch von dem jugendlichen Streben nach dem Anderssein geprägt. Sie erzählt über die Schwierigkeiten eines Arztes auf einer so isolierten Station, der dann auch mal als Internist einen Zahn unter telefonischer Anleitung eines Fachmannes aus der Heimat ziehen muß. Insbesondere im Winter, wenn die Station komplett isoliert ist, ist Hilfe von außen bei Erkrankungen eigentlich nicht möglich. In lebensbedrohlichen Fällen versucht man mit kleinen Flugzeugen auf dem Gletscher zu landen, um den Kranken zu einer größeren amerikanischen Station mit Flugverbindung nach Amerika zu transportieren. Da können die Kosten alleine für die Evakuierung des Erkrankten leicht eine Million Dollar übersteigen.

Der Besuch auf Torgerson Island und Palmer Station ist heute noch nicht alles; wir wollen weiter segeln, bis nach Booth Island, Port Charcot. Damit verlassen wir den von der Belgica geprägten Teil unseres Törns und kommen nun zu dem Teil der Antarktis, in dem die Spuren von Charcot und Dallmann zu finden sind. Wir sind schon reichlich spät dran, es ist halb acht Uhr abends und vor uns liegen noch 20 Meilen. Durch die abendliche Bismarckstraße segeln wir in Richtung Wauwermans Islands. Die Berge von Anvers Island, allen voran Mount Williams, erglänzen in den Strahlen der Abendsonne. Um halb elf versinkt sie im Meer. Da haben wir schon fast Port Charcot erreicht. Kurz vor elf Uhr werfen wir Anker in mittlerweile düsterer, wolkenverhangener Stimmung.

Tagesstrecke: 21 sm (Gesamt: 818 sm)

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31. Januar 2010 - Port Charcot

War es gestern abend düster, so erwartet uns beim Erwachen ein um so schönerer Morgen. Der Himmel ist blau, durchsetzt mit interessanten weißen Wolkenformationen, die Sonne lacht und Schnee und Eis glitzern. Gleich nach dem Frühstück machen wir uns - bis auf Rolf und Harald, die tauchen am benachbarten Eisberg - auf zum Landgang. Hier meisterte Charcot mit der Français 1904 seine erste Überwinterung. Auch jetzt noch, 106 Jahre danach, sind davon Spuren zu finden. Auf einer Felsspitze ist die damals aufgerichtet Steinpyramide zu sehen. Und gleich oberhalb unseres Landungsplatzes stehen die Wände einer von der Expedition aus Steinen errichteten Hütte, die damals magnetischen Messungen diente. Auch die Namen der Gipfel und anderer geographischer Eigenschaften stammen von dieser Antarktisexpedition, nur der Inselname - Booth Island - nicht, der wurde schon 1874 von Eduard Dallmann verliehen.

So klettern wir nun an den Hängen von Jeanne Hill (Colline Jeanne) hoch. Nach der Tradition soll dieser Berg nach der Schwester von Charcot benannt sein. Der Name könnte aber auch eine andere Deutung zulassen. Zum Zeitpunkte seiner Überwinterung war Charcot noch mit Jeanne, geborene Hugo, geschiedene Daudet, verheiratet. Allerdings erreichte ihn beim ersten Kontakt mit der Zivilisation nach der Expedition in Puerto Madryn am 4. März 1905 die Nachricht, daß seine Frau Jeanne einen Monat zuvor die Scheidung eingereicht hatte, mit der in diesem Falle recht eigenartigen Begründung, Charcot hätte die gemeinsame Wohnung verlassen (l’abandon du domicil conjugal, ground of desertion), wie man in einer zeitgenössischen Zeitungsnotiz nachlesen kann. Vor diesem Hintergrund könnte Jeanne Hill vielleicht zunächst nach Charcots Frau benannt und der Name erst nachträglich auf die Schwester bezogen worden sein. Wie dem auch sei, die Eselspinguine besiedelten den Berg vor seiner Benennung, sie sind auch heute noch in großer Zahl zu finden.

Mittagessen in der sonnendurchfluteten Messe der Sarah. Das Schiff schwojt langsam vor Anker. Abwechselnd sehe ich so durch die Bullaugen die Uferfelsen und einen Eisberg, der sich in die Nähe der Sarah geschlichen hat. Wie friedlich und idyllisch ist es doch in dieser Jahreszeit hier im Vergleich mit den Erlebnissen von Charcot. Damals, im antarktischen Winter 1904, war das Schiff ständig der Gefahr ausgesetzt, entweder durch driftende Eisberge oder durch Eispressungen zerquetscht zu werden.

Nach dem Mittag geht der Anker auf, wir haben heute nur noch einen kleinen Sprung vor, von Port Charcot nach Pléneau Island. Auch diese Insel ist nach einem Teilnehmer und Financier der Français-Expedition benannt. Wir tuckern langsam durch die Salpêtrière Bay, die ihren Namen dem bekannten Hospital in Paris verdankt, in welchem Charcots Vater, Jean-Martin, die erste neurologische Klinik in Europa begründete. Auch Jean-Baptiste Charcot selber wirkte dort vorrübergehend als Mediziner. Die gesamte Salpêtrière Bay ist am heutigen Tag mit bizarren, phantasievoll geformten Eisbergen übersät, an denen sich das Auge nicht sattsehen kann.

Nach dem Fallen des Ankers begeben wir uns sofort auf die felsige, schnee- und eislose Insel, auf der Pinguine und Skuas nisten. Erstere sind harmlos, letztere verteidigen die Insel in sehr aggressiver Weise gegen die vermeintlichen Angreifer. Ich stülpe die Kapuze vom Ölzeug über den Kopf, um vor überraschenden Schnabelhieben der Skuas sicher zu sein.

Tagesstrecke: 3 sm (Gesamt: 821 sm)

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