Ein Start mit Hindernissen
Am Ostermontag bei winterlichem Wetter mache ich mich auf dem Weg. Unterwegs abwechselnd blauer Himmel und Sonnenschein und dann wieder Weltuntergang mit Schnee- und Graupelschauern. In Emden habe ich Glück, das Schiff zeichnet sich im Außenhafen liegend in seiner ganzen Pracht gegen den blauen Himmel ab. Steuermann Konstantinowitsch begrüßt mich herzlich, second mate Grigorij zeigt mir meine Kammer, die nach dem Heimathafen des Schiffes Murmansk benannt ist. Von den sechs Kojen sind glücklicherweise nur drei belegt, die Kammer wird für sechs Trainees sehr eng sein, vom Stauraum in den Spinden ganz zu schweigen. Aber wir sind verwöhnt, das wird spätestens bei einer Besichtigung der Kadettenunterkünfte klar.
Insgesamt sind wir nur 12 Trainees, zuzüglich unseres deutschen Traineebetreuers Rolf. Das ist bei insgesamt 46 Kojen für Trainees sehr wenig (und wird später noch weniger werden).
Am nächsten Tag soll es losgehen. Morgens zunächst Schnee an Deck, die Kadetten rücken mit echten Schneeschiebern an, um das Deck frei zu bekommen. Immer wieder Schnee- und Graupelschauer, dazwischen blauer Himmel und Sonnenschein. Um 13:00 Uhr legen wir mit Hilfe von zwei Schleppern ab. Der Lotse ist an Bord. Bei wechselndem Himmel (mal Weltuntergang, dann wieder klarer blauer Himmel) und wechselnden, zeitweise böigen Winden geht es die Ems hinab. Vor Borkum wird der Lotse von einem kleinen, heftig stampfenden Motorboot zum Lotsenschiff abgeholt. Borkum liegt teilweise in strahlender Sonne, ist dann wieder im Schauer nicht mehr zu sehen. Nördlich von Borkum sind Sandbänke, auf denen wir Seerobben beobachten. An der Sandbank steht ordentlich Brandung. Langsam nimmt die See zu. Nach dem Abendessen versammeln wir, die Trainees, uns im Kapitänssalon. Wir schauen uns die von Kai mitgebrachten Seekarten an. Ein Mitsegler kommt von oben und verkündet einen Kurs von 125°. Er muß sich um 180° vertan haben, sicher sind es 305°. Doch dann fällt Kai auf, daß das Schiff viel ruhiger liegt. Tatsächlich, wir dampfen zurück. Rolf versucht, auf der Brücke etwas zu erfahren. Schlechtes Wetter draußen, wird lapidar gesagt. Das kommt uns unwahrscheinlich vor, der Seewetterbericht über Handy vermeldet nichts Besonderes. Gegen Mitternacht nähern wir uns wieder dem Emdener Hafen. Schlepper erwarten uns und bugsieren uns, weil der alte Platz belegt ist, an den Marinekai direkt vor der Hafenausfahrt.
Am nächsten Morgen ist auch nicht viel mehr über die Beweggründe zur Rückkehr zu erfahren. Von der Brücke verlautet nur lapidar bad visibility, strong winds and so far. Nicht überzeugend für ein Schiff, das bei acht Windstärken noch Vollzeug fahren kann. Ob wir die wahren Gründe noch erfahren werden? Wenigstens wird das erneute Auslaufen für 12:00 – 13:00 Uhr angekündigt.
Um 13:00 Uhr kommen tatsächlich Schlepper, Lotsen, Hafenarbeiter. Endlose Diskussionen auf der Brücke. Der Kapitän telefoniert lange. Irgendwann geht es dann doch los. Doch was ist das? Die Schlepper schieben die Sedov rückwärts in den Hafen. Ein Bootsmann sagt nur „schlechtes Wetter“.
Um es abzukürzen: in den folgenden Tagen heißt es immer wieder „heute legen wir ab“ und dann im letzten oder vorletzten Moment wird der Start doch wieder abgesagt. Und alles ohne nachvollziehbare Begründung oder klare Aussicht auf ein In-See-Stechen. Das Ziel ist mittlerweile von Teneriffa auf Lissabon korrigiert, Alternativen für Flüge und Hotels werden immer wieder geprüft. Die Trainees sind genervt. Am Sonntag, fünf Tage nach dem geplanten Törnbeginn, beginnt das große Abreisen. Auch ich und Jan haben unseren Seesack bereits an Deck, wollen uns ein Taxi zum Bahnhof teilen. Da kommt die Durchsage, heute um 15:00 Uhr legen wir ganz bestimmt ab. Können wir dem Glauben schenken? Ich schaue Jan an. Die Hoffnung und die vielleicht nicht wiederkehrende Möglichkeit auf einen Törn mit diesem großartigen Schiff lassen uns wanken. Wir bleiben!
Nicht um 15:00 Uhr aber doch um 16:00 Uhr geht es tatsächlich los. Wir frohlocken, zu früh! Kaum sind wir aus dem Hafen, geht es plötzlich rückwärts, die Schlepper legen uns an den bereits bekannten Marinekai. Erneut heißt die Begründung „strong winds“. Nun sind die fünf verbleibenden Trainees endgültig entschlossen, morgen nach dem Frühstück von Bord zu gehen.
Aber …