Die großen Segelschiffe - Ihre Entwicklung und Zukunft
Selten hat eine Schrift zu den technischen und ökonomischen Möglichkeiten der Segelschiffahrt ein so reges und lang anhaltendes Interesse hervorgerufen wie "Die großen Segelschiffe" von Walter Laas. Mit einem Nachdruck in der Reihe Historische Schiffahrt macht der Salzwasser-Verlag das zuerst 1908 erschienene Werk dem heutigen Leser zugänglich.
Das Bändchen entstand aus einem 1906 von Laas vor der Schiffbautechnischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag, zu einer Zeit also, als die Tage der frachtfahrenden Segelschiffe erkennbar gezählt waren. Laas war in jenen Jahren Professor für Schiffbau an der Technischen Hochschule Berlin (heute: Technische Universität). Trotz seiner noch jungen Jahre hatte er zuvor bereits bei der Meyer-Werft in Papenburg, bei der Germaniawerft in Kiel und bei Joh. Tecklenborg in Geestemünde gewirkt, der Werft, die noch heute durch die beiden dort gebauten Fünfmaster Potosi und Preußen berühmt ist. Er kannte Segelschiffe nicht nur vom Reißbrett, sondern war 1904 selbst auf dem 5-Mast-Vollschiff Preußen nach Iquique gesegelt.
Wie der Titel des Buches verrät, beschäftigt Laas vor allem die Zukunft der kommerziellen Segelschiffahrt. Er beginnt mit einem Abriß über die Entwicklung der Segelschiffe in den führenden Seefahrtnationen jener Zeit: Amerika, Frankreich, England und Deutschland. Für den heutigen Leser ist es besonders aufschlußreich zu erfahren, wie Frankreich die eigene Segelschiffahrt weit jenseits jeder ökonomischen Vernunft mit Prämien förderte, und mit welchen bizarren Folgen. So wurden Rundreisen nach Südamerika ausschließlich in Ballast für die Reeder zu gewinnbringenden Unternehmungen; und die überfällige Abschaffung des Prämiensystems ließ den Segelschiffsbau in Frankreich von einem Tag auf den anderen komplett zusammenbrechen.
Zusammen mit der Schilderung der Entwicklungslinien bei den Seglern in der zweiten Hälfte des 19. Jhd. erörtert Laas verschiedene technische Neuerungen im Hinblick auf ihren Nutzen für die Segelschiffahrt. Interessanterweise wird der Wasserballast, der in den wenigen im 20. Jahrhundert noch gebauten Viermastbarken eine wichtige Rolle spielte, von ihm vehement abgelehnt.
Im zweiten Hauptteil seines Vortrages untersucht Laas verschiedene Statistiken über Bau und Betrieb von Segelschiffen. Er kommt zu dem Schluß, daß zwar Segelschiffahrt auf kleiner Fahrt und hölzerne Segelschiffe ohne Zukunft wären, es aber für die großen Segler auf langen Routen bei entsprechender technischer Weiterentwicklung eine echte Chance im Wettbewerb mit der Dampfschiffahrt geben würde. Diese These scheint bei Betrachtung des beigegebenen Materials gewagt. Die im Anhang aufgeführten Baulisten der Werften und die Statistiken über die neu vom Stapel gelaufenen Segelschiffe zeigen, daß 1895 mit dem Neubau eigentlich Schluß ist. In der Periode von 1900 bis 1905 scheint der Segelschiffsbau in Deutschland noch einmal einen Aufschwung zu erleben. Tatsächlich läßt ein genauer Blick auf die Neubaustatistik die Verteilung der imposant erscheinenden Gesamttonnage auf lediglich sechs große Schiffe erkennen, je zwei für die Reedereien Laeisz und Rickmers und noch einmal zwei für die Schulschiffahrt. Die breite Nachfrage nach Frachtseglern war längst versiegt.
Die Preußen im Größenvergleich (aus dem besprochenen Band)
Der dritte Teil der Schrift diskutiert schließlich die aus Sicht des Autors notwendigen Weiterentwicklungen an den Segelschiffen. Neben Verbesserungen an der Takelage und ihrer Handhabung sieht Laas erhebliches Potential in der Einführung und stärkeren Nutzung von Hilfsmaschinen. Weitsichtig erkennt er die Zukunft der langsam laufenden Dieselmotoren, in einer Zeit, als die Dampfer noch wirklich Dampfer waren. Wegen der damals noch geringen Leistung des Dieselmotors, glaubt Laas allerdings nur an einen Einsatz als Hilfsmotor auf Seglern. Das wäre ein Vorteil gegenüber den Frachtdampfern, da letztere für den Betrieb der Dampfmaschinen, gemessen an der Gesamtladung, erheblich mehr an Brennstoff, d.h. Kohle, transportieren müßten. Wie der weitere Verlauf der Schiffahrtsentwicklung zeigt, waren beide Voraussagen nicht zutreffend. Auf den Frachtdampfern sollten die Dieselmotoren die Dampfmaschinen bald vollständig ersetzen, und die Hilfsmaschinen auf Segelschiffen haben sich immer als problematisch erwiesen und den solcherart ausgerüsteten Segelschiffen kaum Vorteile gegenüber ihren motorlosen Schicksalsgenossen gebracht.
Die auf den Vortrag folgende Diskussion und ein von Laas zwei Jahre später geschriebenen Nachtrag schließen die vorliegende Schrift ab. Abgerundet wird das Bändchen durch zahlreiche Abbildungen, Listen und Statistiken, die man so an anderer Stelle kaum findet.
Das hier besprochene Buch hat sich zum Kultbuch entwickelt. Antiquarisch angebotene Erstausgaben erreichen Preise, die sonst nur für Devotionalien geboten werden. Auch der aktuelle Reprint kostet mit seinen ca. 180 Seiten knapp 70 €. Was also macht das Buch so begehrt? Die Antwort fällt schwer. Der kurze Überblick über die Entwicklung der Segelschiffahrt ist insbesondere wegen seiner ingenieurtechnischen Sichtweise interessant. Der Leser erhält einen Einblick in die damaligen Meinungen und, so möchte man formulieren, Illusionen über die Zukunft der frachttragenden Segelschiffahrt. Aber das ist eher für den Spezialisten von Interesse und erklärt nicht die anhaltende Nachfrage nach diesem Buch. Am ehesten könnte diese noch durch die umfangreichen Beigaben erklärt werden. Wahrscheinlicher liegt aber der Grund für das ungebrochene Interesse in dem in gewissem Sinne sentimentalen Rückblick auf die durch dieses Buch verkörperte - oder eher mit ihm identifizierte - Hochzeit der Segelschiffahrt, die doch zugleich der Beginn des unausweichlichen und schnellen Endes der kommerziellen Seefahrt unter Segeln war.
Die Nachfrage bestimmt den Preis, trotzdem ist hier ein kritisches Wort angebracht. Bei allen Verdiensten, die der Salzwasser-Verlag um die Wiederauflage historischer maritimer Literatur hat, hätte man sich in weit höherem Maße als geschehen Sorgfalt bei der Erstellung des Reprints gewünscht. Die Abbildungen 38 bis 42 fehlen, im Original zweiseitige Abbildungen wurden auf eine Seite gepreßt und lassen oft den Anschluß beider Teile in der Seitenmitte vermissen. Das Seitenbild entspricht nicht dem Original, so werden teilweise im Original über zwei gegenüberliegende Seiten reichende Tabellen im Reprint durch einmal Umblättern getrennt. Es gibt Leerseiten, und in einem Falle sind sogar zwei Seiten in falscher Reihenfolge wiedergegeben. Gemessen am Preis ist die Qualität des Reprints mangelhaft.
Buchdetails
- Titel:
- Die großen Segelschiffe - Ihre Entwicklung und Zukunft
- Autor:
- Walter Laas,
- Seiten:
- 180
- Sprache:
- Deutsch
- Verlag:
- Salzwasser Verlag (Europäischer Hochschulverlag), Bremen 2009
- ISBN:
- 978-3-86195-067-7