Schutzumschlag von Heinrich Hauser (Hrsgb. Wolfgang Bühling), Die letzten Segelschiffe - Mit der Pamir 1930 um Kap Horn

Die letzten Segelschiffe - Mit der Pamir 1930 um Kap Horn
von Heinrich Hauser,

Wie das öffentliche Echo auf die 50. Wiederkehr des Unterganges der Pamir im Jahre 2007 gezeigt hat, besteht in Deutschland nach wie vor ein starkes Interesse an den frachtfahrenden Segelschiffen vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Dabei findet das in der deutschen Öffentlichkeit wohl bekannteste Schiff, die Viermastbark Pamir der Reederei F. Laeisz, besondere Beachtung. Die Neuherausgabe eines Klassikers der deutschen Segelschiffsliteratur, Heinrich Hausers "Die letzten Segelschiffe", durch Wolfgang Bühling trägt diesem besonderen Interesse Rechnung.

Am Neujahrstag des Jahres 1930 läuft die 1905 vom Stapel gelaufene Pamir unter Kapitän Robert Clauß zu ihrer sechsunddreißigsten Reise aus. Ziel ist das chilenische Talcahuano, wo Salpeter für Europa geladen werden soll. Aber auch für die Ausfahrt hat die Pamir Ladung an Bord: Thomasmehl, Roheisen, Zement und Stückgut. Das war für die Rentabilität der Schiffe von entscheidender Bedeutung, da allein mit dem Salpetertransport von Chile nach Europa und der Ausfahrt in Ballast die Kosten wohl kaum zu decken gewesen wären. Wir befinden uns in der letzten Phase der kommerziellen Frachtschiffahrt unter Segeln, die von den Bedingungen her nicht mehr mit ihrer Hochzeit Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu vergleichen ist. In den 30iger Jahren sind nur noch wenige Großsegler in der Handelsschiffahrt unterwegs, die Dampfschiffahrt hat die jahrtausendealte Segelschiffahrt längst verdrängt.

Mit an Bord der Pamir war der Journalist und Schriftsteller Heinrich Hauser (1901-1955). Pro forma als Zahlmeister angeheuert, war die eigentliche Absicht seiner Reise journalistischer Art. In dem noch im gleichen Jahr entstandenen Buch beschreibt Hauser in Tagebuchform die 108 Tage dauernde Fahrt auf der Pamir von Hamburg nach Talcahuano. Obwohl Hauser in jüngeren Jahren - 1930 war Hauser erst 28 Jahre alt, hatte die Seefahrt aber bereits einige Jahre an den Nagel gehängt - seemännische Erfahrungen in der Marine und als Leichtmatrose und Matrose in der Handelsschiffahrt gesammelt hatte, war ihm die Welt der Frachtsegler vollkommen neu. Man wird also von dem Buch nicht die kompetente Schilderung des Schiffsbetriebes durch einen erfahrenen Segelschiffsmatrosen, sondern die Sicht eines interessierten und vorgebildeten Laien erwarten. Das aber macht den besonderen Reiz des Werkes aus. Neben den in der Regel korrekten, jedoch bei weitem nicht vollständigen seemännischen Informationen, nimmt die Widerspiegelung der persönlichen Gefühlswelt des Autors auf dem Schiff einen breiten Raum ein. Jeder, der einmal einen längeren Törn auf einem Großsegler gemacht hat, wird in den originellen Formulierungen Hausers eigene Empfindungen wiederentdecken. Etwa, wenn Hauser schreibt:

Ich verlerne ganz, das Meer wie ein W a s s e r zu betrachten. Es kommt mir viel dicker vor, als der Begriff von Wasser ist.

Oder in den letzten Zeilen des Buches:

In den Beschreibungen der ersten Erdumsegelungen habe ich gelesen, daß die Matrosen ohnmächtig wurden, als zum erstenmal wieder der Geruch des Landes zu ihnen herüberwehte. Ich kann mir das gut vorstellen.

Darüber hinaus gibt das Buch aber genügend vom tatsächlichen Bordalltag wieder, um eine Ahnung vom Betrieb des Großseglers zu liefern und den Verlauf der Reise aus nautischer Sicht zu dokumentieren. Sehr eindrucksvoll ist die Schilderung der Probleme, die die schweren West- und Südweststürme der Pamir gleich zu Beginn der Reise in Nordsee und Kanal bereiten. Insbesondere die Passage über das Ablaufen der Pamir am 13. Januar vor einem schweren Weststurm erinnert bedrückend an den fast gleichlautenden Bericht von Karl-Otto Dummer über den Untergang der Pamir knapp 30 Jahre später: während das Schiff schwer nach Backbord wegkrängt, sitzt die Mannschaft apathisch auf der Luvseite des Hochdecks und wartet passiv den Fortgang der Dinge ab. Die Segel läßt man wegfliegen, trotzdem nimmt die Schlagseite nicht ab. Das Wasser schwappt in den Aufbauten. Der Kapitän hat das Schiff schon fast aufgegeben, er wird von Hauser mit "In dieser Nacht verliere ich mein Schiff" zitiert.

Ob der Satz tatsächlich authentisch ist, das muß offenbleiben. Hauser neigt hin und wieder dazu, die realen Umstände seinen literarischen Absichten anzupassen. So hat in seinen Aufzeichnungen der Segelmacher passend Weltmann zu heißen, obwohl dieser auf der vom Herausgeber beigegebenen Musterliste als Ludwig Holtmann geführt wird.

Der Herausgeber schreibt im Nachwort:

Es ist bis heute noch nicht ausreichend erkannt und gewürdigt worden, daß Heinrich Hauser mit seinem Tagebuch viel zu einer wahren Geschichte der Schiffahrt beigetragen hat.

Die Feststellung ist nur bedingt zutreffend, die Zeit der frachttragenden Segelschiffahrt ist 1930 vorbei und zu diesem Zeitpunkt höchstens noch eine Randnotiz zur Seefahrtsgeschichte. Noch weniger trifft die im Klappentext verwendete Bezeichnung Reportage den Charakter der Aufzeichnungen Hausers. Es handelt sich bei diesem Werk nicht nur der Form nach um ein Tagebuch. Hauser hat weder die Absicht noch den Anspruch, den seemännischen Alltag realitätsnah wiederzugeben. Vielmehr zeichnet er sein subjektives Erleben der Segelreise auf, ohne jeden Anspruch auf Objektivierung oder Verallgemeinerung. Weiter oben haben wir bereits auf die Unterordnung der Realität unter die literarischen Absichten hingewiesen. Gerade diese Eigenart ist es jedoch, die den Band für ein weit über maritime Kreise hinausreichendes Publikum interessant macht und ihm einen Platz in der Literaturgeschichte sichert.

Die Pamir unter vollen Segeln

Die Pamir unter vollen Segeln

Das Besondere an der vorliegenden Ausgabe ist nicht nur die im Faksimile wiedergegebene Auflage von 1931, sondern der umfangreiche Kommentarteil von Wolfgang Bühling und das von ihm hinzugefügte Bild- und Kartenmaterial. Bühling beleuchtet in seiner sehr sachkundigen Schilderung die komplexe, um nicht zu sagen: schwierige Persönlichkeit Hausers. Angefügt ist ein ausführliches Porträt des Kapitäns Robert Clauß. Auch Clauß ist eine prägnante, polarisierende Persönlichkeit. Er befindet sich auf seiner zweiten Reise als Kapitän, die im Unterschied zu seinem ersten Kommando ungleich schwieriger wurde und bei gleichem Zielhafen 35 Tage länger dauerte.

Der Herausgeber rekonstruiert in einem eigenen Abschnitt anhand des erhaltenen Meteorologischen Tagebuchs den Verlauf der Reise. Ausgesprochen interessant und eine wertvolle Ergänzung ist der angefügte Bericht des damaligen Matrosen Horst Krumrey über den Verlauf der Ausfahrt nach Talcahuano.

Hauser hat auf der Reise umfangreiches Filmmaterial aufgenommen, das in verschiedenen Fassungen und unter verschiedenen Titeln in den 30iger Jahren in die Kinos gekommen ist. Zuletzt (1989?) ist eine 20 minütige, neukommentierte Kurzfassung bei Delius Klasing als Videokassette erschienen. Häufig wurden die Filmaufnahmen Hausers in anderen Filmen verwendet, so auch in dem 1959 in die Kinos gekommenen, abendfüllenden Dokumentarfilm "Die Pamir" von Heinz Klemme. Die verwickelte Geschichte der Hauserschen Filmaufnahmen von der Pamir arbeitet der Herausgeber in einem eigenen Unterkapitel im Detail auf. Selbst technische Ausführungen zur Kamera und zum verwendeten Filmmaterial findet man dort.

Vom Herausgeber selbst erstelltes Kartenmaterial zum Kurs des Schiffes hilft, die zeitlich nicht immer ganz konsistente Schilderung der Ereignisse durch Hauser zu erschließen. Die Entstehungsgeschichte des Buches und eine erschöpfende Bibliographie runden den vorliegenden Band ab. Dem Herausgeber ist für seine sorgfältige Recherche und die umfangreiche Dokumentation ausdrücklich zu danken.

Buchdetails

Titel:
Die letzten Segelschiffe - Mit der Pamir 1930 um Kap Horn
Autor:
Heinrich Hauser,
Seiten:
395
Sprache:
Deutsch
Verlag:
ConferencePoint Verlag, Hamburg 2020
ISBN:
987-3-936406-64-1